Artenreich Exkursion

»Abgebrannt«: Artenwissen - Taxonomie

dieny-portinanni-alXBNzpO9eM-unsplash 600Aus der Perspektive der Umweltbildung wird Artenwissen benötigt, um Tier- und Pflanzenarten und ihre Lebensräume zu verstehen und die Folgen von menschlichen Eingriffen in Ökosysteme besser beurteilen zu können. Aber warum sollten sich Kirchen in diesem Bereich engagieren, außer vor dem Hintergrund, dass Kirche in der Gesellschaft »stattfindet« und die Umweltbildung somit dazu gehört? Das Artenwissen ist in der Bibel über die Namensgebung verankert. (Der Mensch gibt den Tieren ihre Namen, und wie er sie nennt, so sollen sie heißen.) Damit ist Artenwissen als Aufbau und Vertiefung von Beziehungen zu verstehen - Vertiefung der Beziehungen zur Natur, zur Schöpfung und damit auch zu sich selbst.

 

Artenreich - Exkursion

Reichelsheim im Odenwald, 2. bis 4. Juli 2021

Bericht der Freunde von A Rocha in Deutschland

Artenreich-Wochenende und Methoden zur Naturerkundung

Bild1 FvARDNach langer Zeit und vielen Videokonferenzen war es endlich soweit: Anfang Juli durften sich viele Freundinnen und Freunde von A Rocha in Deutschland zum ersten mal "in echt" kennen lernen. DBild2 FvARDas ganze Wochenende stand unter dem Motto „Artenreich - Schöpfung entdecken". Ziel war es, ganz einfache Methoden auszuprobieren, mit denen die Vielfalt und Besonderheit eines bestimmten Lebensraumes erfasst werden kann. Auch unsere Gruppe war vielfältig: jung und alt, Expertinnen und Experten und Laien verschiedener christlicher Konfessionen aus ganz unterschiedlichen Regionen Deutschlands.

In fünf verschiedenen Exkursionen auf dem Gelände von Schloss Reichenberg und Umgebung konnten die 25 Teilnehmenden unseres Netzwerks Natur erleben und beobachten: im Bach, Wald oder Garten, bei der Vogel- oder Insektenexkursion. Welche Pflanzen prägen den Lebensraum? Welche Tiere leben hier? Was lernen wir von der Natur über den Schöpfer? Gemeinsame Gebetszeiten, Andachten und ein Gottesdienst haben das Wochenende abgerundet.

Bild3 FvARDBild4 FvARDDie Ergebnisse nach wenigen Stunden in der Natur waren erstaunlich. Die lokalen Bodenarten und die biologische Gewässergüte des Baches konnten vereinfacht bestimmt werden. Zahlreiche Insekten und Vögel wurden gefunden, und wir haben erfahren, wie es um den lokalen Wald steht.

Wir möchten die erprobten bürgerwissenschaftlichen Methoden - d. h. Methoden, für die man kein Expertenwissen benötigt - gerne interessierten Gruppen und Kirchengemeinden zur Verfügung stellen, sodass sie vor Ort die Schönheit und Vielfalt ihrer Umgebung nochmal neu entdecken können - alleine, mit Hilfe von uns oder mit lokalen Naturschützer*innen. In den nächsten Monaten wird das Methodenhandbuch dafür noch weiter verbessert und gestaltet. Wenn ihr mehr über die Methoden erfahren wollt oder eine Gruppe kennt, die diese gerne austesten möchte, meldet euch gerne bei uns per E-Mail: deutsche.freunde@arocha.org

Exkursion 1: Garten

SteffenBrandtSteffen Brandt, Geologe: »Im Rahmen der Garten-Exkursion haben wir den Permakulturarten im Schatten der Burg besucht und entdeckt. Als menschengemachtes Biotop waren wir dort in einem sehr spannenden Zwiespalt. Der Grundgedanken in der Permakultur ist es Prozesse und Biotope künstlich anzulegen, die auf natürlichen Prinzipien beruhen. Dabei werden Pflanzen kombiniert die sich gegenseitig stärken und mit einer dicken Mulchschicht der Boden vor direkter Sonneneinstrahlung und Austrocknung geschützt.

Bild5 FvARDUm uns dem System anzunähern haben wir unten angefangen im Boden und sind über die Wurzeln bis hoch zu den Pflanzen gegangen. Wir haben uns den Boden im Garten, auf einem Kiesweg und am Rand der Wiese angeschaut und überall grundlegend das gleiche Material gefunden, mit unterschiedlichen Anteilen toter und lebendiger organischer Materie. So konnten wir auf dem Granitberg Verwitterungsprodukte eben diesen finden in Form von kiesigem Sand, der nach dem Waschen in den gleichen Farben wie unser Granit scheinte.

Bild7 FvARDBild6 FvARDDie Feinwurzeln haben wir pro festgelgter Fläche gezählt und die Durchwurzelung bestimmt.

Der Vielfalt der Pflanzen haben wir uns über eine Teilkartierung des Gartens genähert. Auf einer bestimmten Fläche haben wir im ersten Schritt gleichaussehende Pflanzen mit der gleichen Farbe auf unserer Karte markiert. Dadurch konnten wir alle Pflanzen aufnehmen auch ohne sie zu bestimmen und uns an unserem fehlenden Wissen hindern zu lassen. Im zweiten und den folgenden Schritten haben wir die Pflanzen benannt nach unserem eigenen Wissen und folgend auch mit Bestimmungsbüchern. So konnten wir eine Legende für unsere Karte erstellen.

Die Teilnehmer meiner Exkursion waren sehr erfreut, mit wie wenig Mitteln und Vorwissen man sich dem Boden und den Pflanzen nähern kann und ein erstes Verständnis aufbauen kann. Unser Ziel war es Sachen zu entdecken mit dem jeweiligen Wissensstand, und im Garten konnte jeder einfach loslegen, die Hände eintauchen und staunen und entdecken.«

StephanieSchoebelExkursion 2:Vögel

Stephanie Schöbel, Ornithologin und Mitarbeiterin der Naturschutzbehörde im Landkreis Ostprignitz-Ruppin: »Vögel begleiten uns durch die Bibel wie kaum eine andere Spezies. Bereits in der Schöpfungsgeschichte werden sie als repräsentative Himmelsbewohner einzeln benannt. Die Eigenschaften, Lebensräume und Vielfalt der verschiedenen Arten dienen oftmals zur Verstärkung und bildhaften Darstellung in biblischen Texten (so z.B. die Turteltaube im Hohenlied, die Haustaube als Symbol des Friedenbringers bei Noah und des Heiligen Geistes und auch Gott selbst wird als schützend und fürsorglich zu uns Menschen beschrieben, indem er seine Flügel über uns ausbreitet: u.a. Psalm 91). Kaum verwunderlich also, dass uns Vögel seit jeher in Staunen versetzen können und begeistern.

KartierungSchoebelZur Erkundung der Sing- und Brutvögel im Umfeld von Schloss Reichenberg wurde die Methode der Revierkartierung nach SÜDBECK et al. (2005. Radolfzell: „Methodenstandarts zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands") gemeinsam erprobt. Dabei werden alle markanten Beobachtungen (singen, füttern, nisten usw.) der einzelnen Vögel in eine Tageskarte aufgenommen, so dass schließlich die Abgrenzung der Brutreviere zwischen den einzelnen Brutpaaren erfolgen kann. So können wir den Beobachtungen auch Informationen zur Anzahl, Größe und Nutzung der Vogelreviere im Gebiet ableiten.

Neben dem methodischen Vorgehen sollte auch das Erfahren dieser, oft heimlich um uns lebenden Tiere, vertieft und bereichert werden. Darum nahmen wir uns zu Beginn einige Augenblicke Zeit, um unsere Augen zu schließen und erst einmal über unser Hören die Gesänge und Rufe um uns wahrzunehmen. Auf unserem Weg, mit Fernglas im Anschlag, nahmen wir uns immer wieder Zeit, um die Tiere zu beobachten, über ihr Verhalten zu staunen oder uns selbst von ihnen beobachtet zu wissen.

Schließlich beendeten wir unseren Erkundungsgang mit der reichen Erfahrung von nicht weniger als 23 Vogelarten (u.a. Goldammer, Neuntöter, Turmfalke und Zaunkönig), deren Flug, Gefieder und Gesang noch in uns nachklangen. Als in der abschließenden Austauschrunde dann noch ein seltener Schwarzstorch über der Burg kreiste, war die Begeisterung groß und unsere Dankbarkeit für die vielen Begegnungen auch.«

Exkursion 3: Wald

DanielFrohnmaierDaniel Frohnmaier, Förster: »Ziel der Exkursion im Wald ist es, die Bindung zwischen Menschen und dem Ökosystem Wald zu intensivieren. Wir wollen gemeinsam herausfinden und benennen, was im Wald alles lebt, um eine gerechte Interaktionen zwischen Wald und Mensch zu definieren: Was gibt uns der Wald und was sollten wir dem Wald (zurück-) geben, um nach dem biblischen Vorbild in Gen 2,15 zu leben: Gottes Schöpfung bebauen und bewahren.«

Multifunktionalität

Um einen Wald nicht auszubeuten, sollten mindestens drei Funktionen dauerhaft erhalten werden.

  1. Nutzfunktion: Ein Waldökosystem stellt der Menschheit nachwachsende Rohstoffe wie Holz, Früchte, Pilze und Wildfleisch zur Verfügung.
  2. Schutzfunktion: Ökosystemdienstleistungen werden zur Verfügung gestellt, die nur ein gesunder Wald dauerhaft liefern kann. Hierzu zählen unter anderem die Produktion von Sauerstoff, die Einlagerung von CO2, die Reinigung von Wasser sowie die Beheimatung vieler tierischer und pflanzlicher Lebensgemeinschaften.
  3. Erholungsfunktion: Menschen finden in einem gesunden Wald Ruhe und Ausgleich.

Ergebnisse der Exkursion:

Um sich dem Artenreichtum des Waldes zu nähern, haben wir Vertreter aus den verschiedenen Lebensgemeinschaften Tieren, Pflanzen und Pilze erfasst. Durch vorheriges Wissen und unsere Beobachtungen haben wir herausgefunden, dass im Wald alle Lebewesen miteinander in Verbindung stehen und zu einem funktionierenden Wald gehören.

Beispiel: Alle Pflanzen gehen mit verschiedenen Pilzen eine Symbiose im Wurzelbereich ein, die sogenannte Mykorrhiza (mykes = Pilz, rhiza = Wurzel). Beide Lebewesen profitieren von dieser engen Gemeinschaft.

VictorMoralesDr. Víctor Manuel Morales – Theologe und Philosoph: »Nach der Wald-Exkursion wollten wir uns mal treffen, um die Ergebnisse und Erlebnisse zu besprechen. Dafür gab es Mikroskope und Bestimmungsbücher zur Verfügung, die wahrscheinlich in der Zukunft zur Entstehung einer Community-Library für kommende Projekte beitragen könnten. Während unserer am Nachmittag vorgeplanten Untersuchung der aus dem Wald mitgebrachten Proben, die im Prinzip verschiedene Pilze waren, fingen wir spontan an, über unsere Erlebnisse zu sprechen, die durch das durch die ausführlichen Erklärungen der Experten erweckte Erstaunen entstanden waren. Unsere Erlebnisse waren mit Fragen gekoppelt, die zur Klarheit der eigenen Positionierung bezüglich der Beziehung zwischen Glauben, Theologie und Naturwissenschaften anlässlich der Ziele unserer Tätigkeit als Freunde von A Rocha Deutschland beigetragen haben. Beispielsweise wurde hinterfragt, ob die Naturwissenschaften bzw. die Naturwissenschaftler einen neutralen Standpunkt einnehmen können, was die Naturgesetze und Paradigmen sind, was bedeutet, dass die Realität als Schöpfung beschrieben werden kann, ob die Naturwissenschaftler berechtigt sind, uns eine allgemeine Welterklärung anzubieten, usw. Die Diskussionen wurden interessanter, dass sich andere Mitglieder von anderen Gruppen uns anschlossen. Leider war die eingeplante Zeit für die Untersuchung und die Besprechung schnell vorbei ... Time flies when you're having fun!«

Exkursion 4: Insekten an Mauern

JulianSartori PortraitJulian Sartori, Bioniker und Zoologe: »Das Schloss Reichenberg, an dem wir uns zum Artenreich-Wochenende getroffen haben, hat viele Mauern. Bei der Insektenexkursion haben wir die Insektenvielfalt an diesen Mauern untersucht. Wir wollten auch herausfinden, ob Insekten bestimmte Bauweisen bevorzugen.

Wir haben uns drei verschiedene Mauerabschnitte herausgesucht. An jedem haben wir eine festgelegte Zeit verbracht und alle Insekten, die wir entdecken konnten, fotografiert. Dabei gibt es manchmal besondere Momente, in denen das beobachtete IMG 20210703 122302 400Insekt plötzlich ganz wachsam wirkt, seine Fühler bewegt und sich ausrichtet, um zu springen oder genau zu sehen. Wir ahnen dann, dass Insekten uns auf eigene Art auch wahrnehmen.

Am häufigsten haben wir Ameisen beobachtet, auch verschiedene Ameisenarten. Viele fliegende Insekten konnten wir zwar beobachten, aber nicht für eine Artbestimmung fotografieren. An einem Mauerabschnitt waren die Pflanzen unterhalb recht hochgewachsen, dort haben wir auch Heupferde, Wanzen und eine Waldschabe gefunden. Unser erster Eindruck war, dass für Insektenvorkommen vor allem die Vegetation in der Nachbarschaft der Mauer wichtig ist. An einer hohen Mauer, die zusätzlich dicht verfugt war, haben wir nur wenige Insekten beobachtet.

Aufgrund unserer Erfahrungen möchten wir das Vorgehen weiter vereinfachen, so dass auch Leute ohne umfassendes Insektenwissen eine Idee der Vielfalt bekommen können. Wir denken, dass Bestimmungsapps und einfache Bestimmungsschlüssel dabei hilfreich sein können. Natürlich gibt es viele Lebensräume, die viel artenreicher sind als die menschengemachten Mauern.

Besonders war noch, dass wir an einer sandigen Stelle direkt am Treffpunkt unserer Gruppe Grabwespen beobachten konnten.«

Julian Sartori ist Bioniker und Zoologe, hat seine Doktorarbeit über die Verbindung zwischen weichem Sehnengewebe und harten Knochen bei Mäusen geschrieben und begleitet jetzt an einem Schülerforschungszentrum Schülerinnen und Schüler bei Bionikprojekten.